Swen Voigt

Erntedankfest in Indien

Wer im Januar einen Indien-Urlaub plant, tut gut daran auf die Tage um den 14. Januar zu achten. In den meisten Gegenden in Südindien wird dann das Erntedankfest - Makar Sankranti - begangen. Ich war nicht oft genug in Indien, um Ratschläge zur Reiseplanung geben zu können, doch vielleicht bewegt die Beschreibung meiner Erlebnisse euch zu einem eigenen Besuch. Wer sich darauf einläßt kann feiertagsfrohe Inder bei den Vorbereitungen sehen, und wettbegeisterte bei Hahnenkämpfen und Bullenrennen.


Vor dem Erntedankfest

Sankranti ist vergleichbar mit dem Weihnachtsfest in Europa. Die Zuckerrohrernte ist eingefahren. Alle nehmen ein paar Tage frei und reisen zu ihren Familien, die Straßen sind noch verstopfter als sonst, Bahnfahrten und Flüge sind bis auf den letzten Platz ausgebucht. Wer also vor dem 14. Januar unbedingt in Indien reisen muss, bucht besser einige Wochen im Voraus.

Versucht bereits vor dem Erntedankefest herauszufinden, wo die einzelnen Festivitäten stattfinden. Die unglaublich populären Hahnenkämpfe sind kaum zu übersehen, doch für Bullenwettrennen oder Bootsrennen muß man schon etwas weiter fahren und nicht jeder weiß, wo welche Veranstaltung stattfindet. Vor den Tempeln, an Schulen und Sportplätzen sieht man Kinder und Frauen beim Gestalten von Kolams. Das sind mit farbigem Reismehl gestaltete Ornamente, teilweise dutzende davon. Da die circa 1x1 Meter großen Flächen durchnummeriert sind, denke ich, dass ein Art Wettbewerb stattfindet.

14. Januar - Bhoghi

Um 6 Uhr fahren wir zu einem Sportclub in Vijayawada (Andhra Pradesh). Auf der Fahrt ist es noch dunkel, an den Hauseinfahrten brennen aber bereits Holzfeuer und im Slalom fahren wir daran vorbei. Auf dem Sportgelände ist bereits alles geschmückt. In der Mitte steht ein großer Holzhaufen. Etwas verspätet kommt ein Stadtrat von Vijayawada auf einem Ziegenbockgespann unter großen Gejohle hereingefahren. Es gibt ein paar kurze Reden, zwei geschmückte Ochsen werden herumgeführt, das Feuer wird angezündet und alle Frauen tanzen und singen darum. Wir tanzen auch in einer Art Polonaise um das Feuer. Und abschließend werden auf den Köpfen von ein paar Kinden Beeren verteilt. Eigentlich sollten die Hahnkämpfe erst am Folgetag beginnen, aber die Leute können wohl nicht abwarten. Und so werden die ersten Wetten unter den Augen des auch anwesenden Distrikt-Staatsanwalts abgeschlossen. Angeblich ist das offiziell verboten, aber welcher Politiker will es sich schon mit den Anhängern eines Volkssports verscherzen?

Wir fahren anschließend weiter in den Süden zu einem Bootsrennen. Der Sprecher des Parlaments von Andhra Pradesh ist bereits mit entsprechendem Presserummel und anderen Würdenträgern anwesend. Als einzige Touristen dürfen wir auf das Podium gehen und für Fotos posieren. So muss sich der Mohr vor hundert Jahren auch gefühlt haben, als er auf dem Jahrmarkt ausgestellt wurde. Das Ruderbootrennen ist naturgemäß nicht so aufregend - aber der ganze Rummel, die Menschenmassen herum, sind es zweifellos.

Am späten Nachmittag brechen wir zum Bullenrennen auf. Es ist etwas mehr als eine Stunde Fahrtzeit und schwierig zu finden, weil wir nur den ungefähren Ort kennen. Endlich angekommen ist das das Wettkampfgelände eingezäunt und alle verfolgen das Geschehen durch den Zaun. Glücklicherweise weden wir sofort auf das Wettkampgelände gebeten und ich darf aus nächster Nähe fotografieren und filmen. Zwei Ochsen ziehen gerade einen 23 Doppelzentner schweren Stein (2,3 Tonnen). Ziel ist es, das Gewicht über die weiteste Distanz zu ziehen. Ist das Ende des ca. 150m langen Feldes erreicht werden die Ochsen umgespannt. All zu oft passiert das nicht, denn die Ochsen müssen oft verschnaufen. Meist schaffen sie nur eine Distanz von 20-30 Metern an einem Stück. Die Ochsen sind schweißüberströmt und atmen schwer. Das letzte Ochsengespann hat bereits dutzende Preise gewonnen. Sie ziehen das Gewicht - zumindest zu Beginn - mühelos, so daß die Ochsenführer ihre Peitschen gar nicht erst verwenden müssen. Auch wenn die 20 Minuten Wettkampfzeit an diesen Ochsen doch noch ihre Spuren hinterlassen, sind sie die klaren Gewinner des Abends.

15. Januar - Makar Sankranti

Heute geht es zum Hahnenkampf. Bereits auf dem Weg zu dem Ort, den wir uns herausgesucht haben, fahren wir an ähnlichen Veranstaltungen vorbei. Sie sind bereits von der Strasse an ihrem großen, wilden Parkplatz zu erkennen. Über 500 Besucher hat die Veranstaltung und nicht wenige davon laufen mit Hähnen auf dem Arm herum. Die Hähne sind wesentlich größer und kräftiger als die Hühner, die uns die Supermarkteier legen. Laut Wikipedia handelt es sich um die Art “Asil”. Die Leute hocken, sitzen und stehen in einem großen Kreis und im Zentrum des Rings finden die Kämpfe statt. Eigentlich sollen so wenige wie möglich im Ring stehen, doch bei Wetteinsätzen von umgerechnet 1500€ auf einen Hahn hält es die wenigsten auf ihren Plätzen. Sie stürmen wild gestikulierend in den Ring und auch die Ordnungshüter können mit ihren Peitschen nicht mehr viel ausrichten. Irgendwo las ich einmal, daß die Hahnenkampfarena das “Casino des kleinen Mannes” sei. Angesichts der Geldeinsätze und Bündel an Scheinen, die ich hier sehe, ist es eher ein großes Casino.


Den Hähnen wird eine Spore aus Metall angelegt. Mit dieser gehen sie auf ihren Artgenossen los, bis er nicht mehr kämpft, auf dem Boden liegen bleibt ode stirbt. Nicht selten wird eine Ader getroffen und der Boden ist schnell voller Blut. Selten dauert ein Kampf länger als 10 Minuten. Der Besitzer des Gewinner-Hähnchens erhält den toten Hahn des Verlierers. Sie setzen auch mehrere hundert Euro auf ihren Hahn. Das ist auch angemessen, denn allein an Futter investieren ihre Besitzer circa 200€. Für die Verlierer ist der Verlust umso schmerzlicher. Das Fleisch der Wettkampfhähne ist sehr schmackhaft und entsprechend begehrt. Selbstverständlich unterhält man sich bei dieser Veranstaltung auch über den Tierschutz. Dabei erfahre ich, daß die Tiere zwei Jahre lang gehegt und gepflegt werden. So kommen dann auch 200€ an Kosten für das Futter zusammen. Verglichen mit den 34 bis 42 Tagen eines deutschen Masthähnchens haben die Kampfhähne ein angenehmes Leben. Das relativiert natürlich nicht das Gemetzel, aber hier kann wohl nur ein Vegetarier und Nicht-Eier-Esser die moralische Keule schwingen.

16. Januar - Kanumu

Heute finden auch noch überall Hahnenkämpfe statt. Wir sind zu grogy, um erneut herumzufahren. Eigentlich ist ja auch “Kanumu” der Familientag, der zu Hause begangen wird. Zu Mittag gibt es natürlich Hähnchen-Curry. Fast wie Weihnachten. Die Kinder lassen gerne Drachen zum Ausklang des Festes steigen. Mangels Wind ist das in der Stadt etwas schwierig, so daß die meisten Drachen auf Dächern liegen. In den Küstenregionen ist das sicher vielversprechender.